Gemeinsamer Namensartikel: „Nein, das deutsch-französische Paar gehört nicht der Vergangenheit an“ (3. Februar 2023)

Copyright: picture alliance/dpa

Der ehemalige französische Botschafter in Deutschland, Maurice Gourdault-Montagne, gründet gemeinsam mit Matthias Fekl, Hélène Miard-Delacroix, François Villeroy de Galhau und anderen eine deutsch-französische Akademie in Paris, welche Akademiker, Unternehmensleiter und hohe Beamte zusammenführt, um die deutsch-französische Freundschaft zu feiern (17. Januar 2023).

„Der Élysée-Vertrag wird 60 Jahre alt. Jetzt ist das deutsch-französische Paar also im Seniorenalter angekommen, vielleicht sogar im Alter der Weisheit. Aber manche sagen, das sei auch die Zeit des Alterns und des Renteneintritts: Die deutsch-französische Freundschaft sei eine abgedroschene Worthülse. All das glauben wir nicht, aber wir streiten auch keine der Herausforderungen ab, vor denen sie steht.

Deshalb ergreifen wir, eine Gruppe von Französinnen und Franzosen, heute die Initiative: Nach dem Vorbild der Académie de Berlin, die seit 2006 existiert, gründen wir eine Académie franco-allemande de Paris. Wir gründen sie unabhängig von allen offiziellen Strukturen, mit der persönlichen Unterstützung des deutschen Botschafters in Frankreich, der unsere Treffen ausrichten wird, wie dies auch der französische Botschafter in Berlin tut. Abseits der üblichen Expertensilos für deutsch-französische Themen werden wir dort neue, interdisziplinäre Sichtweisen von Akademikern und Unternehmensleitern, Kulturschaffenden und Menschen aus der Verwaltung, langjährigen und neu hinzugekommenen Germanophilen zusammenführen. Aber wir wollen gemeinsam ein paar Überzeugungen mit Leben füllen, die wir drei Klischees gegenüberstellen: Wie immer sprechen diese Klischees bei aller Übertreibung auch durchaus reale Bedrohungen an.

Das erste Klischee meint, dass unsere Beziehungsgeschichte der Vergangenheit angehöre, entweder, weil unser Verhältnis glücklicherweise endlich alltäglich geworden sei, oder schlimmer, weil Deutschland sich „anderswo“ umsehe – im Osten, fürchten wir – und es an der Zeit sei, dass Frankreich es ihm gleichtut – im Süden, träumen wir. In Wirklichkeit muss unsere Aussöhnung, die zunächst nach innen, das heißt für unsere beiden Länder erfolgte, ihren Wirkstoff für die anderen nach außen neu erfinden. Genauer gesagt nach Osteuropa, das uns gemeinsam eigentlich zurecht vorwirft, die russische Bedrohung falsch eingeschätzt zu haben, das aber unsere einzigartige Fähigkeit, die Geschichte neu zu lesen, um die Zukunft zu verändern und den Frieden fest zu verankern, brauchen wird. Und hin zur übrigen Welt, von den Vereinigten Staaten über Afrika und Lateinamerika bis nach Asien, deren vermeintlich geringeres Interesse an Europa sich direkt am Zustand unserer Beziehung bemisst: Wenn wir uneins sind, werden wir mit Sicherheit ausradiert und vergessen, was weitreichende Folgen für Europa hätte. Die Spannungen der letzten Monate haben uns daran erinnert, dass Interessen divergieren können, aber seit de Gaulle und Adenauer macht genau dies den Wert der Einigung aus, die am Ende immer gefunden wurde: Gerade weil wir unterschiedlich sind und bleiben, ergänzen wir uns. Jetzt ist es an uns, strategische Kompromisse bei der Energie, der Migrationspolitik und beim Aufbau einer ökologischen und sozialen Marktwirtschaft zu finden.

Ein weiteres Klischee behauptet, es sei inzwischen überflüssig, Deutsch zu lernen. Niemand kann den deutlichen Rückgang der Zahl der Deutschlernenden in Frankreich leugnen, und auch nicht, dass die deutsch-französischen Wirtschaftsbeziehungen, die gut funktionieren, jetzt im Wesentlichen auf Englisch ablaufen. Dieses praktische Medium ermöglicht es, sich auszutauschen und gemeinsam zu arbeiten, aber es ermöglicht keine wirkliche Verständigung. Sich um ein Zusammensein zu bemühen bedeutet, über die Worte und die Sprache des Anderen mit gemeinsamen Werten aus den Lumières und der Aufklärung die Unterschiede in der Kultur, der Psychologie und den Verhaltensweisen zu erforschen.

Und das dritte Klischee lautet: Das deutsch-französische Verhältnis ist ein bisschen vertrocknet und emotionslos. Um es ganz unverblümt zu sagen: Deutschland sei nicht besonders „Fun“, und die Deutschen seien irgendwie langweilig, weil sie immer so vernünftig sind. Das ist häufig das Alibi für unsere Unkenntnis, während viele Deutsche Frankreich aus ihren Urlauben etwas besser kennen. Es ist an der Zeit, sich bewusst zu machen, dass Deutschland auch Berlin, die Stadt, die für viele junge Europäer und Franzosen ein Magnet ist, neu belebt hat, dass es von den Weinbergen und Dörfern an der Mosel bis hin zu den Ostseeinseln ein wunderschönes Land ist, auch wenn es sich bei uns schlecht verkauft. Und dass ARTE Millionen von Europäern jeden Sonntag mit unseren „Karambolagen“ zum Lachen bringt.

Um diese Überzeugungen mit Leben zu erfüllen, wird unsere Akademie offene Aktionsformen bieten: Vergabe eines jährlichen Preises, Veranstaltungen, freie Stellungnahmen usw. Dabei soll der Jugend besondere Beachtung geschenkt werden, die diese Geschichte viel mehr betrifft, als sie es ermessen kann. Und ganz bescheiden gesagt: Unsere Berufung zielt nicht darauf ab, einen offiziellen politischen Dialog, der für die Bearbeitung unserer unzähligen gemeinsamen Themen unabdingbar ist, zu ersetzen, sondern darauf, das, was der Nährboden dafür sein muss, miteinander zu teilen und wachsen zu lassen: eine bessere Kenntnis des Anderen, das Abenteuer eines „Wieder-Entdeckens Deutschlands“ und damit die Erneuerung eines europäischen Versprechens.“

Vollständige Liste der Unterzeichner:

  • Matthias Fekl, Präsident der Académie franco-allemande de Paris, Rechtsanwalt, ehemaliger Minister
  • Hélène Miard-Delacroix, Generalsekretärin, Professorin an der Universität Sorbonne}

sowie in alphabethischer Reihenfolge:

  • Dominique Bourel, Forschungsdirektor am CNRS
  • David Capitant, Professor für Öffentliches Recht an der Universität Panthéon-Sorbonne
  • Chris Dercon, Präsident der Vereinigung der nationalen Museen und des Grand Palais
  • Sylvain Fort, Essayist und Übersetzer
  • Maurice Gourdault-Montagne, französischer Botschafter
  • Brigitte Klinkert, Abgeordnete des Departements Haut-Rhin, ehemalige Ministerin
  • Philippe Knoche, Generaldirektor der Unternehmensgruppe Orano
  • Christine de Mazières
  • Philippe Oddo, General Partner der Unternehmensgruppe Oddo BHF
  • Claire de Oliveira, Übersetzerin, Dozentin an der Universität Sorbonne
  • Elisabeth Ourliac
  • Bruno Patino, Präsident von ARTE
  • Boualem Sansal, Schriftsteller
  • Anne Tallineau, Generalsekretärin des Deutsch-Französischen Jugendwerks
  • François Villeroy de Galhau, Gouverneur der Banque de France
Weitere Aktualitäten
Druckversion