Erklärung der G7-Außenministerinnen und Außenminister zu Russland und der Ukraine (19. Februar 2022)

  1. Wir, die G7-Außenministerinnen und -minister Deutschlands, Frankreichs, Italiens, Japans, Kanadas, des Vereinigten Königreichs und der Vereinigten Staaten von Amerika sowie der Hohe Vertreter der Europäischen Union, sind unverändert tief besorgt über den bedrohlichen militärischen Aufmarsch, den Russland um die Ukraine, auf der rechtswidrig annektierten Krim und in Belarus betreibt. Russlands grundloses und ungerechtfertigtes Zusammenziehen von Streitkräften, die größte Mobilisierung auf dem europäischen Kontinent seit dem Ende des Kalten Krieges, ist eine Herausforderung für die globale Sicherheit und die internationale Ordnung.
  2. Wir rufen Russland auf, den Weg der Diplomatie einzuschlagen, Spannungen abzubauen, in substanziellem Umfang Streitkräfte aus der Nähe der ukrainischen Grenzen abzuziehen und sich uneingeschränkt an internationale Verpflichtungen zu halten, welche auch Risikoreduzierung und Transparenz militärischer Aktivitäten umfassen. Als ersten Schritt erwarten wir, dass Russland die angekündigte Reduzierung seiner militärischen Aktivitäten entlang der Grenzen der Ukraine in die Tat umsetzt. Für diese Reduzierung sehen wir bisher keinen Beleg. Wir werden Russland an seinen Taten messen.
  3. Wir haben Russlands jüngste Ankündigungen zur Kenntnis genommen, dass es zu diplomatischem Engagement bereit sei. Wir unterstreichen unser Bekenntnis gegenüber Russland, den Dialog über Themen von gegenseitigem Interesse zu führen, etwa über die europäische Sicherheit, Risikoreduzierung, Transparenz, den Aufbau von Vertrauen und Rüstungskontrolle. Wir bekräftigen ferner unsere Entschlossenheit, für die derzeitige Krise eine friedliche und diplomatische Lösung zu finden, und wir fordern Russland auf, das Dialogangebot im Rahmen des bilateralen Dialogs mit den Vereinigten Staaten über strategische Stabilität, des NATO-Russland-Rats und der OSZE anzunehmen. Wir würdigen den Erneuerten Europäischen Sicherheitsdialog der OSZE, der von Polen als amtierendem OSZE-Vorsitz ins Leben gerufen wurde, und drücken unsere starke Hoffnung aus, dass sich Russland konstruktiv einbringen wird.
  4. Jegliche Androhung oder Anwendung von Gewalt gegen die territoriale Integrität und die Souveränität von Staaten steht im Widerspruch zu den grundlegenden Prinzipien der regelbasierten internationalen Ordnung sowie zu der in der Schlussakte von Helsinki, der Charta von Paris und weiteren nachfolgenden OSZE-Erklärungen verankerten europäischen Friedens- und Sicherheitsordnung. Während wir bereit sind, hinsichtlich berechtigter Sicherheitsbedenken nach diplomatischen Lösungen zu suchen, sollte Russland keinen Zweifel daran haben, dass jede weitere militärische Aggression gegen die Ukraine massive Konsequenzen nach sich ziehen wird, darunter finanzielle und wirtschaftliche Sanktionen gegen ein breites Spektrum sektorbezogener und individueller Ziele, die zu erheblichen und beispiellosen Kosten für die russische Wirtschaft führen würden. Wir werden in einem solchen Fall abgestimmte restriktive Maßnahmen ergreifen.
  5. Wir bekräftigen unsere Solidarität mit den Menschen in der Ukraine und unsere Unterstützung für die Bemühungen des Landes zur Stärkung seiner Demokratie und seiner Institutionen, und wir ermutigen zu weiteren Reformfortschritten. Für uns ist von größter Bedeutung, dabei zu helfen, die wirtschaftliche und finanzielle Stabilität der Ukraine sowie das Wohlergehen ihrer Bevölkerung zu bewahren. Aufbauend auf unserer Unterstützung seit 2014 sind wir entschlossen, in enger Abstimmung mit den ukrainischen Behörden einen Beitrag zur Stärkung der Widerstandsfähigkeit der Ukraine zu leisten.
  6. Wir erneuern unser unerschütterliches Bekenntnis zur Souveränität und territorialen Integrität der Ukraine innerhalb ihrer international anerkannten Grenzen und Hoheitsgewässer. Wir bekräftigen das Recht eines jeden souveränen Staates, über seine Zukunft und seine Sicherheitsvereinbarungen selbst zu entscheiden. Wir würdigen die Zurückhaltung der Ukraine angesichts fortgesetzter Provokationen und Destabilisierungsversuche.
  7. Wir unterstreichen, dass wir die Anstrengungen Deutschlands und Frankreichs, im Rahmen des Normandie-Prozesses die vollständige Umsetzung der Minsker Vereinbarungen sicherzustellen, als einzigen Weg hin zu einer dauerhaften politischen Lösung des Konflikts in der Ostukraine nachdrücklich würdigen und weiter unterstützen. Wir erkennen die öffentlichen Äußerungen von Präsident Selensky an, in denen er das feste Bekenntnis der Ukraine zu den Minsker Vereinbarungen sowie seine Bereitschaft unterstreicht, einen konstruktiven Beitrag zu dem Prozess zu leisten. Das ukrainische Entgegenkommen verdient es, von den russischen Verhandlungsführern und von der Regierung der Russischen Föderation ernsthaft berücksichtigt zu werden. Wir rufen Russland auf, die Chance für einen diplomatischen Weg zu nutzen, den die ukrainischen Vorschläge bieten.
  8. Russland muss deeskalieren und seinen Verpflichtungen zur Umsetzung der Minsker Vereinbarungen nachkommen. Der Anstieg von Waffenstillstandsverletzungen entlang der Kontaktlinie in den vergangenen Tagen ist hochgradig besorgniserregend. Wir verurteilen den Einsatz schwerer Waffen und den willkürlichen Beschuss ziviler Gebiete; dies stellt eine eindeutige Verletzung der Vereinbarungen von Minsk dar. Wir verurteilen ebenfalls, dass Russland weiterhin russischen Pässe an die Bewohnerinnen und Bewohner der nicht von der Regierung kontrollierten Gebiete der Ukraine ausgibt. Dies läuft dem Geist der Minsker Vereinbarungen klar zuwider.
  9. Wir sind insbesondere besorgt aufgrund von Maßnahmen der selbsterklärten „Volksrepubliken“, die als Vorbereitung für eine militärische Eskalation betrachtet werden müssen. Wir sind besorgt, dass inszenierte Vorfälle als Vorwand für eine mögliche militärische Eskalation missbraucht werden könnten. Russland muss seinen Einfluss auf die selbsternannten Republiken nutzen, um Zurückhaltung und Deeskalation zu üben.
  10. In diesem Zusammenhang bekunden wir unmissverständlich unsere Unterstützung für die Sonderbeobachtermission (SMM) der OSZE, deren Beobachter eine Schlüsselrolle in den Deeskalationsbemühungen spielen. Der Mission muss es ermöglicht werden, ihr Mandat vollumfänglich und ohne Einschränkungen ihrer Aktivitäten und Bewegungsfreiheit zum Wohl und zur Sicherheit der Menschen in der Ostukraine auszuüben.
Weitere Aktualitäten
Druckversion