Auf dem informellen Zusammentreffen in Hampton Court im Oktober 2005 sind die Staats- und Regierungschefs übereingekommen, die Tätigkeit der Gemeinschaft in den Bereichen Forschung und Innovation fortzuentwickeln. Dies ist eine entscheidende Herausforderung für die Zukunft Europas. Es ist auch ein vorrangiges Feld für ein besseres Eingehen auf die konkreten Anliegen der Bürger.
Vor diesem Hintergrund wollen unsere beiden Länder, die in der EU eine solide gemeinsame Grundlage und gewichtigen Einfluss in Industrie und Forschung haben, ihre Zusammenarbeit mit Blick auf Europa ausbauen, um das Potenzial ihrer Wirtschaft zu nutzen, den Wirkungsgrad ihrer Politik zu verbessern und in immer engerer Partnerschaft mit anderen Mitgliedstaaten der Union neue Initiativen zu entwickeln.
Unsere beiden Länder sind überzeugt, dass ihre langjährige Erfahrung mit der bilateralen Zusammenarbeit in Forschung und Industrie in bestimmten Fällen dazu beitragen kann, Maßnahmen anzuregen, die auf der Ebene der Europäischen Union durchgeführt werden können. Sie sind entschlossen, offen und gezielt darauf hinzuwirken, indem sie ihre gemeinsame Erfahrung in den Dienst der Entwicklung der Union in diesem Schlüsselbereich stellen und eng mit den anderen Mitgliedstaaten und mit der Kommission zusammenarbeiten.
Darüber hinaus steht die neue europäische Energiepolitik im Mittelpunkt des nächsten Europäischen Rates. Deshalb sollte der europäische Wunsch, eine sichere, nachhaltige und wettbewerbsfähige Energiepolitik zu entwickeln, durch gemeinsame deutsch-französische Arbeiten flankiert werden. Im Energiebereich wird sich die Zusammenarbeit insbesondere auf die Sicherung einer preisgünstigen und nachhaltigen Energieversorgung im Rahmen der liberalisierten europäischen Energiemärkte fokussieren. Mit diesem Ziel werden die beiden Länder in Fragen der Energievorausschau, der Energieeffizienz, der Nuklearsicherheit und den Energiebeziehungen zu Drittländern sowie in den Bereichen Entwicklung neuer Energietechnologien eng kooperieren.
I. Dynamisierung des europäischen Forschungsraums durch Zusammenführung der besten Akteure in der deutsch-französischen und europäischen Forschung und Förderung der Mobilität der Forscher
Deutschland und Frankreich wollen sich bei der Festlegung ihrer jeweiligen Forschungspolitik möglichst früh abstimmen. Sie wollen eine europäische Dynamik und entsprechende Kooperationen mit anderen Mitgliedstaaten herbeiführen und bei der Schaffung eines europäischen Forschungsraums und der Gründung eines europäischen Forschungsrats als treibende Kraft wirken. Unsere beiden Länder wollen ferner die Forschungsentwicklung durch zusätzliche Haushaltsmittel, durch Kooperationen zwischen ihren Einrichtungen und durch die Annäherung an die Industrie im Rahmen einer gesamteuropäischen Perspektive unterstützen.
Beim 2. Forum zur Deutsch-Französischen Forschungskooperation im Juli 2005 in Potsdam haben unsere beiden Regierungen und Wissenschaftsgemeinschaften ihren Willen zum Ausdruck gebracht, die Annäherung der großen Forschungsorganisationen zu fördern.
So wurde ein intensiver Erfahrungsaustausch zwischen dem Bundesministerium für Bildung und Forschung, der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der neuen "Agence nationale de la recherche" (Nationale Forschungsagentur) eingeleitet. Erste gemeinsame Ausschreibungen zu Schlüsselthemen sind im Rahmen der Europäischen Forschungsbereiche (ERA) "NanosciERA", "Pathogenomics", "Eurotransbio" und - zusammen mit dem spanischen Forschungsministerium - im Bereich der Pflanzengenomforschung durchgeführt worden.
Auf der Grundlage der erfolgreichen Zusammenarbeit in bilateralem und europäischem Rahmen streben unsere Forschungsorganisationen eine Annäherung auf institutioneller Ebene, möglichst bis hin zur Schaffung gemeinsamer Einrichtungen an. Hierzu gibt es vor allem gemeinsame Initiativen und Überlegungen vom französischen Nationalen Zentrum für wissenschaftliche Forschung (CNRS) und der Max-Planck-Gesellschaft im Bereich der Systembiologie, zwischen dem Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) und dem französischen Nationalen Institut für Gesundheit und Medizinische Forschung (INSERM) in der Krebsforschung sowie zwischen dem Alfred-Wegener-Institut (AWI) und dem Französischen Forschungsinstitut zur Nutzung der Meere (IFREMER) in der Meeresforschung. Die Zusammenlegung der beiden Polarstationen auf Spitzbergen im Sommer 2005 war hierzu ein guter Auftakt.
Unsere beiden Länder möchten die in Schwerpunktbereichen bereits begonnene Zusammenarbeit für die europäische Forschung intensivieren (Anlage 1 gibt Hinweise auf Gewicht und Vielfalt dieser Themen). In diesen Zukunftsbereichen wollen wir gemeinsam auf EU-Ebene zu größeren Anstrengungen anregen und Partner aus anderen Mitgliedstaaten beteiligen. Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft im 1. Halbjahr 2007 bietet dazu einen geeigneten Rahmen.
Die zwischenstaatliche Initiative EUREKA (Agentur für die Europäische Forschungskoordination), die unsere beiden Länder auf den Weg gebracht haben, stellt für die Zusammenarbeit einen wirksamen Rahmen dar, innerhalb dessen näher mit dem EU-Rahmenprogramm für Forschung, technologische Entwicklung und Demonstration zusammengearbeitet werden sollte. Dies kann beispielsweise durch eine Finanzierung gemeinsamer Technologie-Initiativen (JTI) auf der Grundlage von Artikel 171 des EU-Vertrags erreicht werden.
Die Ziele von Lissabon erfordern, dass wir massiv in die Ausbildung junger Forscher investieren, die von vornherein eine europäische Dimension erhalten muss. Dabei stellt die Deutsch-Französische Hochschule ein leuchtendes Beispiel auf europäischer Ebene dar. Zusammen mit Hochschulen, Forschungsorganisationen und -agenturen unterstützt sie die Einrichtung einer deutsch-französischen Doktorandenausbildung und fördert den Aufbau von Netzwerken für junge Forscher. Zur Erreichung dieser Ziele sollte abhängig von der anstehenden Evaluierung die schrittweise Anhebung der gemeinsamen Förderung der Deutsch-Französischen Hochschule auf 10 Mio. € in den nächsten Jahren angestrebt werden.
Unsere beiden Länder wollen jetzt ihre Exzellenzzentren im Bereich Bildung und Forschung (Zentren in Forschung und Hochschulwesen und Themennetzwerke für Spitzenforschung in Frankreich sowie die Exzellenzinitiative in Deutschland) strukturieren und verfolgen deshalb besonders aufmerksam das Projekt eines Europäischen Technologieinstituts, das die besten Akteure in der europäischen Forschung verbinden könnte. Unsere beiden Länder werden sich dafür einsetzen, dass auf europäischer Ebene der Mehrwert einer Auswahl der besten thematischen Netzwerke aus Forschungs- und Innovationszentren deutlich wird. Für die Prüfung eines solchen Vorhabens wäre die Einrichtung einer Expertengruppe eine sinnvolle Maßnahme.
II. Förderung der Innovation in Europa durch große, mobilisierende Zukunftsprojekte
1. Aufgrund des Stellenwerts der Industrie in ihren Volkswirtschaften wollen Frankreich und Deutschland als treibende Kraft in einer marktwirtschaftlichen Industriepolitik wirken, indem sie aktiv zur Schaffung eines geeigneten Gemeinschaftsrahmens beitragen, sich bei der Umsetzung wichtiger einzelstaatlicher Maßnahmen abstimmen und versuchen, dabei auch weitere Mitgliedstaaten mit einzubeziehen. Auch müssen kleinere und mittlere Unternehmen sowie die Wachstumsmöglichkeiten strukturschwacher Regionen berücksichtigt werden. Die deutsch-französische Kooperation mit ihren großen Erfahrungen in der beruflichen Bildung wird hier weiterhin den Schwerpunkt setzen und die Qualifizierung junger Menschen im Partnerland in innovativen Berufs- und Technologiefeldern fördern. Schließlich wollen unsere beiden Regierungen ihre Zusammenarbeit im industriellen Bereich verstärken und die Positionen beider Länder in Industrie- und Forschungsfragen auf bilateraler und europäischer Ebene abstimmen.
Auf Gemeinschaftsebene schließen Deutschland und Frankreich sich voll und ganz den Zusagen in den Schlussfolgerungen der Europäischen Räte von März und Juni 2005 an, zur Schaffung einer tragfähigen Industriebasis in Europa beizutragen. In diesem Sinn sprechen sich unsere beiden Länder für eingehende Überprüfung der Gemeinschaftsregelungen zu den staatlichen Beihilfen für die Industrieforschung anlässlich der von der Kommission einzuleitenden Überarbeitung der Rahmenregelungen aus. Der Anteil der Innovationen an der gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung muss erhöht und ein Rechtsrahmen geschaffen werden, der Innovation insbesondere auch im Bereich der kleinen und mittleren Unternehmen stärker fördert, wenn das Ziel der Europäischen Union erreicht werden soll, 2010 drei Prozent des BIP für die Forschung zur Verfügung zu stellen.
Hinsichtlich der Innovationsbeihilfen haben unsere beiden Länder weitgehend gleich auf die von der Kommission durchgeführte Befragung geantwortet und befürworten die Anhebung der Beihilfesätze, die Berücksichtigung größerer Unternehmen, um nicht allein auf die Möglichkeit von Beihilfen an kleine und mittlere Unternehmen im Gemeinschaftssinne beschränkt zu sein, und einen internationalen Vergleich der hier bestehenden Zwänge.
Die Ausarbeitung einer wirklichen Strategie für den Industriebereich setzt eine genaue Analyse der Stärken und Schwächen der europäischen Wirtschaftssektoren voraus, um darauf aufbauend Initiativen zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen entwickeln zu können. Eine solche Strategie muss die Bedingungen des weltweiten Wettbewerbs weitestgehend berücksichtigen. Unterstützung und Initiative der Kommission sind dabei sehr willkommen. Beide Länder begrüßen deshalb, dass die Kommission Mitteilungen zu den Innovationsbeihilfen und zur Industriepolitik vorgelegt hat, und haben erste Stellungnahmen abgegeben.
Zur Umsetzung der Lissabon-Strategie haben beide Regierungen im Laufe der Jahre 2004/2005 die Neugestaltung ihres Innovationsförderungssystems eingeleitet. In Frankreich geschah dies durch die Einrichtung von Organisationen, die Forschung und Innovation in Unternehmen fördern, wie der "Agence nationale de la recherche" (Nationale Forschungsagentur/ANR), dem "Fonds de compétitivité des entreprises" (Fonds für Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen/FCE) und der "Agence de l’innovation industrielle" (Agentur für Innovation in der Industrie/AII), und in Deutschland über die Initiative "Partner für Innovation", an der die Bundesregierung, große private Unternehmen, kleine und mittlere Unternehmen sowie Forschungsinstitute beteiligt sind. Wir sind uns einig, Innovation durch konkrete Initiativen sowie durch politische und finanzielle Unterstützung zu beschleunigen.
Im Juli 2005 wurde von beiden Forschungsministern eine Gemeinsame Erklärung unterzeichnet, durch die der Austausch zwischen den nationalen Innovationsinitiativen und der Erfahrungsaustausch bei der Finanzierung von Gründung und Wachstum technologieorientierter Unternehmen intensiviert werden sollen. Der nach Abstimmung mit der deutschen Fraunhofer-Gesellschaft gegründete "Carnot"-Dachverband und die Einführung des "Carnot"-Gütezeichens sind Bestandteile der französischen Innovationsinitiative und unerlässlich für die Unterstützung der Ziele der Lissabon-Strategie. Langfristiges Ziel ist die Vertiefung der Kooperationen zwischen Fraunhofer-Gesellschaft und Féderation Carnot sowohl in der Vorlaufphase der Forschung als auch in der Phase der industriellen Verwertung, wozu auch der Austausch von Mitarbeitern beider Institutionen dienen kann.
Deutschland und Frankreich bekräftigen die ehrgeizigen Bestrebungen der Europäischen Union im Bereich von Forschung und Entwicklung und wollen erhöhte finanzielle Anstrengungen zugunsten der Forschung unterstützen, insbesondere durch auf den privaten Sektor ausgerichtete Instrumente wie die von der Kommission und der Europäischen Investitionsbank angestrebte Forschungsfazilität. Unsere beiden Länder stimmen sich aktiv ab, damit dieses Instrument so schnell wie möglich eingerichtet werden wird. Das Instrument sollte insbesondere so dimensioniert sein, dass es den Marktanforderungen an Finanzierungen mit höherem Risikoabsicherungsbedarf gerecht werden kann. Mit ihm sollen sowohl kleinere Initiativen als auch große europäische Forschungs- und Entwicklungsprojekte finanziert werden können.
2. Unsere beiden Länder wollen gemeinsam groß angelegte konkrete Projekte in innovativen Zukunftstechnologien und insbesondere im Bereich der neuen Informationstechnologien durchführen, die europäische und internationale Maßstäbe setzen sollen.
Die im Oktober 2004 mit Unterstützung der beiden Regierungen gegründete deutsch-französische Industriellengruppe soll die deutsch-französische Zusammenarbeit im Industriebereich stärken und die Lissabon-Strategie weiterverfolgen. Aufgrund der Vorschläge der Industriellen werden vorrangig folgende Projekte verfolgt:
Im übrigen liegt ein weiterer Schwerpunkt auf dem Projekt der "Europäischen digitalen Bibliothek", das vom französischen Staatspräsidenten und vom deutschen Bundeskanzler gemeinsam mit vier weiteren Staats- und Regierungschefs der Union (Italien, Spanien, Polen, Ungarn) angeregt wurde. Das Projekt hat in die Mitteilung der Kommission "i2010: Digitale Bibliotheken" Eingang gefunden. Unsere beiden Länder haben sich in Abstimmung auf bilateraler und europäischer Ebene intensiv bemüht, das Projekt 2006 weiter voranzubringen. Unsere Regierungen streben ein einziges mehrsprachiges Internetportal (als zentralen Zugang) an, das einen guten Überblick über das europäische Kulturerbe und zeitgenössische Werke sowie eine umfassende Digitalisierung von Inhalten, angefangen bei den Druckerzeugnissen, ermöglicht. Im wissenschaftlichen Bereich soll möglichst noch in diesem Jahr ein Pilotprojekt vereinbart werden, das auch für eine Ausdehnung auf Europa tauglich ist. Vor weitergehenden abschließenden Entscheidungen sind die finanziellen Implikationen zu klären und zu prüfen.
Auch in weiteren Bereichen wollen unsere beiden Länder ihren Willen nach Innovation im Rahmen der Union bekunden.
Die deutsch-französische Industriellengruppe wird ihre Arbeiten an laufenden Projekten, insbesondere in den Bereichen Energie, Wettbewerb, Ausbildung und Arbeitsmarkt sowie europäische Finanzmärkte abschließen und soll gebeten werden, Vorschläge zu neuen Kooperationen in anderen Sektoren, zum Beispiel Weltraum, vorzulegen.
Unsere künftige Zusammenarbeit in der Energieforschung ist von grundlegender Bedeutung, insbesondere in den Bereichen Energieeffizienz, Einsatz alternativer Energieträger und nachwachsende Rohstoffe (Anlage 2). Auch der Forschungsreaktor ITER (Internationaler Thermonuklearer Forschungsreaktor) soll es erlauben, entscheidende wissenschaftliche Kenntnisse und Techniken für die Herstellung einer sauberen, sicheren und praktisch unerschöpflichen Energie zu erwerben.
3. Unsere beiden Länder wollen auch bei der Einrichtung lokaler Katalysatoren für die Wissensgesellschaft eine treibende Rolle spielen. Innovation und Wettbewerbsfähigkeit verzeichnen nämlich große Effizienzgewinne, wenn sie das Ergebnis pragmatischer Kooperationen zwischen Unternehmen jeder Größe und staatlichen Labors sind. Ferner erhöht die geographische Konzentration der Akteure im Zuge der Vernetzung auf europäischer Ebene ihre internationale Sichtbarkeit und trägt dazu bei, neue Partner zu gewinnen und Arbeitsplätze zu schaffen.
Bei der Zusammenarbeit zwischen französischen Wissenspolen und deutschen Kompetenznetzen geht es um dreierlei: um den Ausbau der Wettbewerbsfähigkeit der betroffenen Akteure durch Komplementarität und kritische Masse, mittelfristig um eine verstärkte Wirtschaftsintegration in Europa und das Entstehen von europäischen Polen, die weltweit führend sind, sowie um das Entstehen eines spezifischen Modells für Wirtschaftsentwicklung, in dem Forschung und Innovation eine grundlegende Rolle spielen.
Daher müssen die Kooperationen in der Luft- und Raumfahrt um die Pole Hamburg und Midi-Pyrénées sowie Aquitaine herum, in der Biotechnologie im Rheintal und in vielen weiteren innovativen Bereichen, die das Fundament der Wirtschaft von morgen darstellen, verstärkt werden. Anlage 3 führt die wichtigsten bereits bestehenden Partnerschaften auf. Unsere beiden Länder sind überzeugt, dass diese Vernetzung durch eine Intensivierung auf der Ebene der Europäischen Union auf der Grundlage der bestehenden Komplementarität aufgewertet werden könnte. Zu diesem Zweck unterstützen unsere beiden Länder beispielsweise die Einrichtung gemeinsamer Technologieinitiativen im Gemeinschaftsrahmen.
Anlage 1: Schwerpunktthemen der Forschung auf bilateraler und europäischer Ebene
Anlage 2: Bereiche weiterer Zusammenarbeit im Forschungs- und Energiesektor
Anlage 3: Zusammenarbeit zwischen Wettbewerbspolen